Die Rolle des Verwaltungsrats in der Arbeitswelt 4.0
«Es können nur Unternehmen mithalten, die den Wandel antizipiert haben», so Ursula Nold, Verwaltungsratspräsidentin des Migros-Genossenschafts-Bundes, anlässlich des Spirit of Bern 2021. Gemäss den unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrats (Art. 716a des Obligationenrechts) hat dieser unter anderem die oberste Leitung des Unternehmens inne und kümmert sich um die Organisation.
Wandel in den Bereichen Technologie, Organisation, Mensch und Arbeitsort
In der Arbeitswelt 4.0 treffen viele unterschiedliche Themen aufeinander. Zentral und wahrscheinlich auch Hauptauslöser für diese Bewegung sind die Veränderungen im digitalen Bereich. Dieser digitale Strukturwandel ist heute nicht mehr nur die Automatisierung von Arbeits- und Produktionsprozessen, sondern die ganzheitliche Erneuerung einer Organisation unter Einbezug der Möglichkeiten digitaler Technologien, also die digitale Transformation.
Digitale Technologien beschleunigen und vernetzen unsere Arbeitswelt zunehmend. Geschwindigkeit, Flexibilität und Agilität werden immer wichtiger. Die technologischen Fortschritte haben damit Auswirkungen auf andere Bereiche wie die Organisation, den Menschen (sowohl als Kunde wie auch als Mitarbeiterin) und den Arbeitsort.
Aufgabe des Verwaltungsrates ist es, diese Themen in die Strategie des Unternehmens zu implementieren und die Geschäftsleitung bei dieser Transformation zur Arbeitswelt 4.0 zu unterstützen. Für die Geschäftsleitung eines Unternehmens ist es heute selbstverständlich, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Tut dies der Verwaltungsrat nicht ebenso, entsteht eine Wissenslücke, welche zu Konflikten führen kann.
Der Verwaltungsrat muss sich darüber Gedanken machen, welche Bedürfnisse künftig bestehen und welche Technologien dafür zur Verfügung stehen müssen.
Digitalkompetenz im Verwaltungsrat – heute und morgen
Das Durchschnittsalter in den Verwaltungsräten von Schweizer SMI-Unternehmen betrug im Jahr 2020 59.95 Jahre. Bedenkt man, dass im Jahr 2025 bereits 85 % der Personen, welche auf den Arbeitsmarkt kommen, Digital Natives sind, so stellt man fest, dass eine Verjüngung diesen Gremien guttun würde. Allerdings scheint dieses Thema (noch) nicht in allen Verwaltungsräten angekommen zu sein. Gemäss der BDO Verwaltungsratsstudie 2020 «spielt bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrats die Kompetenz in Bezug auf Digitalisierung nur eine untergeordnete Rolle».
Es gibt allerdings Verwaltungsräte, welche sich mit dem Thema Digitalkompetenz sehr intensiv beschäftigen und diesem Bereich eine hohe Wichtigkeit geben. So z.B. die Berner Kantonalbank (BEKB). Sie hat am 9. September 2021 bekanntgegeben, dass sie eine eigene IT-Gesellschaft gegründet hat. Der Medienmitteilung kann entnommen werden, dass mit der Gründung dieser Tochtergesellschaft die Strategie verfolgt wird, die Innovationskraft noch besser zu fördern, die Kooperationsfähigkeit in IT-Themen zu steigern und so einen Mehrwert für die eigenen Ökosysteme zu bieten. Der Verwaltungsrat der BEKB geht also so weit, dem Thema Digitalisierung ein derart grosses Gewicht beizumessen, dass sie eine eigene Tochterunternehmung gegründet hat.
Die Alternative: Digitalausschuss oder Digitalbeirat
Alternativ besteht die Möglichkeit, das Digitalwissen in einem Ausschuss zu bündeln, sei dies generell oder auch bezogen auf bestimmte Projekte. Allerdings scheint auch der Digitalausschuss in der Schweiz nicht tief verankert zu sein. Gemäss dem swissVR Monitor II/2021 von swissVR, Deloitte und der Hochschule Luzern verfügen nur 21 % der Unternehmen über einen Innovations- bzw. Digitalausschuss.
Was kann ein Unternehmen tun, wenn der Verwaltungsrat nicht einfach und unkompliziert um die digitale Kompetenz erweitert bzw. ein Ausschuss nicht einfach gebildet werden kann? Gemäss Kevin Klak, Mitglied des Digitalrats, eines unabhängigen Netzwerks von Digital-Experten, bietet sich in solchen Situationen die Bildung eines digitalen Beirats an. Dieser Beirat kann den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung bei den Digitalisierungsthemen unterstützen. Auch wenn der Beirat in der Schweiz gesetzlich nicht verankert ist, so erfährt dieses Instrument grosse Beliebtheit. Ob sich auch der Digitalausschuss in eine ähnliche Richtung entwickelt, wird sich zeigen.
«Die meisten befragten Verwaltungsratspräsidentinnen und -präsidenten stufen digitales Know-how bei den Mitgliedern ihres Verwaltungsrats als gar nicht oder weniger wichtig ein.»
BDO Verwaltungsratsstudie 2020
Kurz und bündig
Wer als Unternehmen in die Arbeitswelt 4.0 eintauchen will, muss zuerst digital fit sein. Erst nach der digitalen Transformation können sich die Bereiche Arbeitsort (z.B. mobiles Arbeiten, Arbeiten im Workspace) oder die Arbeitsorganisation (z.B. flexibles Arbeiten) entwickeln. Dabei ist die Herausforderung nicht die Maschine, sondern der Mensch, welcher in all diese Prozesse integriert werden muss. Dieser Wandel ist in der Regel auch mit einer Veränderung der Kultur des Unternehmens verbunden.